Barriere­frei­heits­stärkungs­gesetz: Wichtige Änderungen für Unternehmen ab 2025

Am 28. Juni 2025 tritt in Deutschland das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Es setzt die europäische Richtlinie zum European Accessibility Act (EAA) um und bringt weitreichende Neuerungen für viele Unternehmen mit sich.

Artikel von:
Søren
Veröffentlicht am:2024-10-30

In diesem Beitrag

Mit der Einführung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG), das den European Accessibility Act (EAA) in deutsches Recht überführt, steht uns ein bedeutender Wandel in der Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen bevor. Doch was hat zu dieser Entwicklung geführt, und was bedeutet sie für Unternehmen und Verbraucher?

Was führte zum European Accessibility Act und dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?

Der European Accessibility Act, der 2019 von der Europäischen Union verabschiedet wurde, ist das Ergebnis jahrelanger Bemühungen, die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu stärken. Mehrere Faktoren haben zu seiner Entstehung beigetragen:

  1. Die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die EU-Mitgliedstaaten schuf eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Verbesserung der Barrierefreiheit.
  2. Der demografische Wandel in Europa führte zu einem wachsenden Bewusstsein für die Bedürfnisse einer alternden Gesellschaft.
  3. Die fortschreitende Digitalisierung machte deutlich, dass ohne gezielte Maßnahmen eine digitale Kluft entstehen könnte, die bestimmte Bevölkerungsgruppen ausschließt.
  4. Es wurde erkannt, dass barrierefreie Produkte und Dienstleistungen nicht nur sozial wichtig sind, sondern auch wirtschaftliche Chancen bieten.

EU-Richtlinien wie der European Accessibility Act müssen von den Mitgliedsstaaten in ihre nationale Gesetzgebung überführt werden. Zwei Jahre später, im Juli 2021, wurde daher das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (mit vollem Namen "Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheits­anforderungen für Produkte und Dienstleistungen") als Bundesgesetz erlassen. Es tritt am 28. Juni 2025 in Kraft.

Der European Accessibility Act und das daraus resultierende Barrierefreiheitsstärkungsgesetz sind mehr als nur gesetzliche Vorgaben. Sie repräsentieren einen gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Inklusion und Gleichberechtigung: Letztendlich geht es darum, eine Welt zu schaffen, in der digitale Technologien allen Menschen gleichermaßen zugänglich sind.

Wer ist vom European Accessibility Act und Barrierefreiheitsstärkungsgesetz betroffen?

Der European Accessibility Act – und damit das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – gehen weit über bisherige Regelungen zur Barrierefreiheit hinaus. Erstmals sind nicht nur öffentliche Einrichtungen, sondern auch der private Sektor betroffen. Besonders bemerkenswert ist, dass die Anforderungen für alle Unternehmen gelten, die Produkte oder Dienstleistungen an Kunden in EU-Mitgliedstaaten verkaufen, unabhängig vom Standort des Unternehmens. Dies hat weitreichende Folgen für den globalen Handel und die Produktentwicklung.

Das Gesetz richtet sich an Hersteller, Händler und Importeure bestimmter Produkte sowie Anbieter spezifischer Dienstleistungen.

Zu den betroffenen Produkten zählen unter anderem:

  • Computer, Smartphones, Tablets
  • Selbstbedienungsterminals (z.B. Geldautomaten und Ticketautomaten)
  • Smart-TVs
  • E-Book-Reader

Im Dienstleistungsbereich sind beispielsweise betroffen:

  • Telekommunikationsdienste (Telefonie, Messenger-Apps)
  • Bankdienstleistungen
  • Personenbeförderungsdienste (Websites, Apps oder Ticketdienste)
  • E-Book-Software
  • Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr mit Verbrauchern

Besonders hervorhebenswert ist der letzte Punkt, Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr: Hier geht es um den gesamten Online-Handel, also E-Commerce-Angebote wie Online-Shops und Apps, über die Produkte erworben werden können. Darüber hinaus sind aber auch alle anderen Online-Dienstleistungen betroffen, die auf den Abschluss von Verbraucherverträgen abzielen, z.B. die Buchung von Konzertbesuchen, Hotelurlauben oder Arztterminen.

Ausgenommen sind Anbieter von Dienstleistungen mit weniger als 10 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme von maximal 2 Millionen Euro (sog. "Kleinstunternehmen"). Für Produkthersteller gilt diese Ausnahme jedoch nicht.

Was sind konkrete Anforderungen an Unternehmen?

Die Anforderungen an Barrierefreiheit sind vielfältig und reichen von der Gestaltung von Benutzeroberflächen über die Bereitstellung von Informationen in verschiedenen sensorischen Kanälen bis hin zur physischen Zugänglichkeit von Produkten und Dienstleistungen.

Zur Erleichterung enthält das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz Konformitätsvermutungen (siehe § 4 und 5 BFSG): Werden bestimmte technische Normen, EU-harmonisierte Normen oder DIN- oder ISO-Standards (technische Spezifikationen), erfüllt, wird die Einhaltung der Barrierefreiheits­anforderungen vermutet, wenn die Normen und Standards selbst die Barrierefreiheits­anforderungen erfüllen.

Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit hat bisher keine Zuordnung von Produkten und Dienstleistungen zu bestimmten Normen und Spezifikationen veröffentlicht, gibt aber folgenden Hinweis​[1] für Websites und Apps, die Dienstleistungen anbieten, die unter das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz fallen:

In Bezug auf digitale Barrierefreiheit lässt sich bereits auf die EN 301 549 verweisen (für Websites öffentlicher Stellen des Bundes ist sie gemäß BITV 2.0 bereits maßgeblich), da sich eine Aktualisierung dieser EN explizit mit Blick auf die Anforderungen der Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen im Kontext der EU-Richtlinie 2019/882 in Planung befindet.

Es geht also um die Einhaltung der harmonisierten Norm EN 301 549, die bereits für öffentliche Stellen im Rahmen der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) Anwendung findet. Die EN 301 549 wiederum basiert auf den international anerkannten Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Konkret bedeutet dies, dass ab dem 28. Juni 2025 betroffene Unternehmen ihre Dienstleistungen gemäß den in der BITV festgelegten Standards gestalten müssen, die im Wesentlichen den WCAG 2.1 auf Konformitätsstufe AA entsprechen. Die BITV geht dabei in einigen Bereichen sogar über die WCAG hinaus und enthält zusätzliche, spezifisch deutsche Anforderungen z.B. für Gebärdensprachvideos und Informationen in Leichter Sprache.

Für viele Unternehmen bedeutet das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz also eine erhebliche Umstellung. Sie müssen:

  1. Ihre bestehenden Produkte und Dienstleistungen auf Barrierefreiheit überprüfen und gegebenenfalls anpassen.
  2. Barrierefreiheit von Anfang an in den Entwicklungsprozess neuer Angebote integrieren.
  3. Mitarbeiter schulen und für das Thema Barrierefreiheit sensibilisieren.
  4. Konformitätsbewertungsverfahren durchführen und dokumentieren.

Was sind mögliche Konsequenzen bei Verstößen gegen das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?

Die Sicherstellung der Barrierefreiheit obliegt prinzipiell den Anbietern von Produkten und Dienstleistungen.

Neu eingerichtete Markt­über­wachungs­behörden werden die Einhaltung der Anforderungen nach Inkrafttreten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz sowohl ohne Anlass stichprobenhaft als auch anlassbezogen (z.B. aufgrund konkreter Beschwerden von Verbrauchern) überprüfen. Bei Nichteinhaltung drohen Bußgelder bis zu 100.000 Euro und es besteht das Risiko, dass betroffene Produkte und Dienstleistungen zurückgerufen bzw. eingestellt werden müssen.

Mitbewerber können außerdem mittels einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung gegen Verstöße vorgehen.

Was ist zu tun?

Mit der Frist zur Umsetzung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz am 28. Juni 2025 bleibt Unternehmen nicht mehr viel Zeit, sich vorzubereiten. Es ist dringend ratsam, jetzt zu handeln:

  1. Machen Sie sich mit den Anforderungen des BFSG vertraut.
  2. Führen Sie eine Bestandsaufnahme Ihrer Produkte und Dienstleistungen durch.
  3. Entwickeln Sie einen Aktionsplan zur Implementierung der Barrierefreiheitsanforderungen.
  4. Investieren Sie in Schulungen und Bewusstseinsbildung in Ihrem Unternehmen.
  5. Ziehen Sie gegebenenfalls externe Experten hinzu.

Eine gute erste Anlaufstelle ist die Sammlung häufiger Fragen und Antworten zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) der Bundesfachstelle Barrierefreiheit.

Wenn Sie mit digitalen Dienstleistungen unter den Anwendungsbereich des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz fallen sollten, unterstützen wir Sie gerne. Wir stehen seit vielen Jahren Kunden aus dem öffentlichen Sektor mit unserer Erfahrung und Expertise beim Thema Barrierefreiheit zur Seite und freuen uns, wenn wir auch Ihnen mit einer Beratung weiterhelfen können.

  1. Siehe "Welche Normen und anderen technischen Standards sind maßgeblich für die Umsetzung des BFSG?", Bundesfachstelle Barrierefreiheit (zuletzt abgerufen 30. Oktober 2024)

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