Die Geschichte der webfactory
In diesem Beitrag
- Wie alles begann
- Die ersten Kunden
- Abitur und Zivildienst
- wfDynamic
- Studium und erste Mitarbeiter
- JUGEND für Europa
- Ruhrtriennale
- wfDynamic 3
- Azubis in der webfactory
- Der Gemeinsame Bundesausschuss
- Umbau in Bonn und Standort Berlin
- Webanwendung "Sicherer IT-Betrieb"
- Personelle Veränderungen
- Vorträge und Meetups
- Unternehmenswert Mensch
- Staatsoper Berlin und Staatstheater Darmstadt
- Kaffee-Sponsoring auf Konferenzen
- Citylight-Werbung um neue Mitarbeiter
- Das neue webfactory-Büro
- Ab nach Hause!
- Erfahrungen mit Arbeitskräftemigration
- Open Source Software veröffentlichen zahlt sich aus
- Kinder in der webfactory
- Weitere Kunden
Wie alles begann
Im Jahr 1995 gründeten Philipp Bosch, Matthias Pigulla und ich zusammen mit anderen eine Schülerzeitung am Clara-Schumann-Gymnasium in Bonn, die wir "Clarasil" nannten. Wir waren damals in der 10. Klasse, kurz vor den Sommerferien erschien unsere erste Ausgabe. Wenig später bekam Philipp sein erstes Modem und schaute sich in den Mailboxen der Region um. Von dort aus war es nicht weit bis zum World Wide Web, das damals in den Kinderschuhen steckte: erst 1993 war der erste Webbrowser auf den Markt gekommen. Philipp begann als Tüftler sofort damit, zu ergründen, wie man eine Website erstellt, und erstellte einen ersten Auftritt für Clarasil.
1996 startete "Schulen ans Netz", eine Initiative der Deutschen Telekom und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die allen Schulen einen Internetzugang ermöglichen sollte. Auf einer großen Fachtagung in der Telekom-Zentrale in Bonn sollten sich Lehrer und andere Experten aus ganz Deutschland über die Möglichkeiten austauschen, das Internet in Schulen zu nutzen. Der damalige Pressereferent der Deutschen Telekom hatte die Idee, für die Fachtagung eine Online-Berichterstattung zu organisieren – und kontaktierte die Clarasil-Redaktion, da wir ja bereits Erfahrung mit dem Internet hatten. Für die Programmierung der Website hatte er eine Internetagentur aus Bremen gewonnen. Das kränkte uns natürlich in unserer Ehre und die Gestaltung der Website fanden wir langweilig. So kam es, dass unsere Redaktion am ersten Tag der Fachkonferenz nicht nur Artikel schrieb, sondern Philipp, Matthias und ich parallel bis in die Nacht hinein daran arbeiteten, ein neues Design für die Website zu entwickeln und umzusetzen. Als wir die neue Seite am nächsten Morgen den Verantwortlichen für die Fachtagung präsentierten, waren sie so begeistert, dass sie uns auf die Bühne baten, um uns den versammelten Teilnehmern der Konferenz vorzustellen. Schließlich verkörperten wir genau das, was der Verein erreichen wollte: Schüler, die Medienkompetenz für das Internet zeigten.
Die Konferenz hatte noch eine wesentliche Nachwirkung: Der Verein "Schulen ans Netz" kontaktierte uns im Anschluss mit der Anfrage, ob wir nicht auch die Vereinswebsite neu gestalten könnten. Wir sagten zu und vereinbarten einen Preis von 2500 DM (gut 1250 €). So hatten wir im Herbst 1996 unseren ersten kommerziellen Auftrag und beschlossen kurzerhand, dass wir eine Firma gründen müssten. Gesagt, getan: Im Dezember 1996 gingen wir zum Gewerbeamt der Stadt Bonn und meldeten eine GbR zur Entwicklung von Websites an. Matthias und ich waren gerade volljährig geworden, Philipp musste noch von seiner Mutter begleitet werden.
Die ersten Kunden
Nachdem die Website für Schulen ans Netz fertig war, hatten wir viele Anfragen aus dem engeren Familien- und Bekanntenkreis. So entwickelten wir eine Website für den Deutschen Juristinnenbund, dessen Geschäftsführerin Philipps Mutter war, und für die Junge Presse Nordrhein-Westfalen, deren Vorstandsmitglieder unser Schülerzeitungsseminar als Referenten betreut hatten. Und über die Junge Presse wiederum kamen wir in Kontakt mit dem Gründer eines Startups für Börsennachrichten, wallstreet:online. Kurz zuvor war die Deutsche Telekom an die Börse gegangen und hatte für ihre "Volksaktie" ein deutschlandweites Börsenfieber angeheizt – entsprechend groß war der Bedarf an Information und Austausch. So saßen wir tagsüber im Unterricht und programmierten nachmittags und manchmal nachts an einem Redaktionssystem für die Nachrichten, an einem Diskussionsforum für 300.000 Mitglieder, einem Live-Chat, Kursdiagrammen und vielem mehr, was wallstreet:online sich ausdachte. Gleichzeitig mussten wir den Serverbetrieb aufbauen und skalieren, denn die Website machte damals schon mehrere 100 GB Traffic pro Monat (und würde damit heute noch zu unseren größten Kunden gehören).
In diese Zeit fiel es auch, dass ein übermüdeter webfactorianer nach Mitternacht das Kommando rm -rf * ~
eingab und damit den kompletten Quellcode für die Benutzerverwaltung und das Diskussionsforum löschte. Eigentlich wollte er nur aufräumen und die beim Bearbeiten automatisch erstellten Kopien jeder Datei löschen, aber das unachtsam eingefügtes Leerzeichen hinter dem *
führte dazu, dass der Befehl sich auf alle Dateien erstreckte. Ich weiß nicht mehr, wie wir es geschafft haben, das Diskussionsforum dann innerhalb von kurzer Zeit neu zu schreiben. Aber ich weiß, dass wir uns an diesem Tag geschworen haben, nie wieder ohne Backups zu arbeiten.
Abitur und Zivildienst
Im Sommer 1998 machten wir Abitur und waren froh, nicht weiter den halben Tag in der Schule sitzen zu müssen. Ein weiterer Kunde stieß über unsere Kontakte vom Schülerzeitungsseminar zu uns: Projekt PR, eine Bonner Agentur, die unter anderem die AIDS-Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und den Bundestagswahlkampf der Grünen betreut hatte und nun eine Website brauchte. Das sollte großen Einfluss auf unsere Entwicklung haben.
Wir waren eine Web-Agentur mit einem großen Kunden, der uns beachtliche Webhosting-Umsätze bescherte, und brauchten natürlich endlich ein Büro, denn wir wollten Kundentermine nicht weiter in unseren Kinderzimmern oder in Cafés wahrnehmen. Also hatten wir uns auf die Suche gemacht und von einer Dachetage über einer kleinen Autowerkstatt neben dem Rotlichtviertel bis hin zu einer repräsentativen Büroetage vis-a-vis des Poppelsdorfer Schlosses alle möglichen Büros angeschaut. Möglicherweise hätten wir die repräsentative Büroetage für damals 6000 DM Monatsmiete gemietet und es wäre unser Ruin gewesen – wenn nicht der Geschäftsführer von Projekt PR uns überzeugt hätte, in sein Büro mit einzuziehen. Die Agentur hatte sich gerade von 15 auf 3 Mitarbeiter verkleinert und hatte dementsprechend Platz übrig. Und sie hatte einen Kopierer, ein Sekretariat und eine Kaffeemaschine. So kamen wir an unser erstes Büro in der Lessingstraße 60 in der schönen Bonner Südstadt.
Im Spätsommer begannen wir drei dann unseren Zivildienst – weit verstreut: Philipp in einem Bildungswerk in der Eifel, Matthias in einer Bonner Klinik und ich in der invidivuellen Schwerstbehindertenbetreuung. Ich hatte die webfactory-freundlichsten Arbeitszeiten: Auf 4 Tage Dienst rund um die Uhr folgten 12 Tage frei, die ich natürlich nutzte, um das schöne Büro zu genießen. Während unserer Abwesenheit freuten wir uns über den Sekretariatsservice von Projekt PR, der uns auf ein ganz neues "Professionalitäts-Level" brachte.
In dieser Zeit besuchte uns auch ein Filmteam, um uns als Musterbeispiel für Erfolge des Programms Schulen ans Netz zu portraitieren. Für diesen Film mussten wir dann auch ganz schnell ein Firmenschild haben und entschieden uns, den Freiraum auf dem Schild von Projekt PR für einen webfactory-Aufkleber zu nutzen. Dieses Schild sollte dann für 10 Jahre so bleiben.
wfDynamic
Fast alle unserer frühen Kunden wollten Nachrichten auf ihrer Website veröffentlichen. Für jede Meldung immer eine handgebaute HTML-Seiten zu erstellen, war eine ziemlich zähe, langweilige, aber gleichzeitig zeitkritische Aufgabe. Da wir für für wallstreet:online bereits Erfahrungen mit Datenbanken gemacht hatten, entschieden wir, dass wir für alle unsere Kunden ein Redaktionssystem anbieten wollten, über das sie ihre Nachrichten selbst einpflegen könnten. Da jeder Kunde ein bisschen anders war, sollte es von Beginn an für individuelle Datenbankstrukturen anpassbar sein.
Projekt PR war dann der erste Kunde, der auf seiner Website nicht nur Textmeldungen veröffentlichen wollte, sondern Referenzen mit Bildern, z. B. von Plakatmotiven. Die Herausforderung nahmen wir an und lernten erst, wie man Dateien über ein Webformular hochlädt und in eine Datenbank speichert und dann, wie man diese Dateien automatisch in eine fürs Web passende Auflösung herunterrechnet.
Für den nächsten Kunden wollten wir dann noch Texte in eine Hierarchie bringen, also nicht nur eine Liste von Pressemitteilungen oder Referenzen pflegbar machen, sondern eine ganze Seitenstruktur.
Fertig war wfDynamic, ein Redaktionssystem, mit dem man die komplette Struktur der Seite anlegen und bearbeiten, Bilder hochladen und beliebige Inhaltstypen pflegen konnte. Und wfDynamic bescherte uns jede Menge Kunden.
Übrigens kam von Projekt PR schon damals die Idee, dass wir das System nicht gegen einen Einmalbetrag, sondern für eine Monatsmiete abgeben sollten. So ist die Finanzierung der Weiterentwicklung jederzeit gesichert. Und www.projekt-pr.de ist unsere dienstälteste, seit 1999 unverändert in Betrieb befindliche Website.
Studium und erste Mitarbeiter
Nach dem Zivildienst begannen zwei von uns ein Studium an der Universität Köln: Matthias in Wirtschaftsinformatik und ich in Betriebswirtschaftslehre. Philipp entschied sich, die Stellung im Bonner Büro zu halten.
Im Zuge der damals herrschenden Goldgräberstimmung am "Neuen Markt" der Deutschen Börse gewannen wir die auf Investor Relations spezialisierte Agentur Haubrok als Kunden. Für Haubrok realisierten wir nicht nur die Unternehmenswebsite, sondern auch eine Kontaktverwaltungslösung mit Newslettersystem, die wir wfContacts tauften und die inzwischen auf wfDynamic basiert. Haubrok brachte uns zudem in Kontakt mit verschiedenen Kunden, die im Zuge ihres Börsengangs neue Websites brauchten.
Ende 1999 fanden wir es an der Zeit, uns eine neue, "erwachsenere" Rechtsform zu geben, und gründeten zum 01.01.2000 die webfactory GmbH mit Philipp, Matthias und mir als gleichberechtigten Anteilseignern.
Im Jahr 2000 stellten wir dann unseren ersten Mitarbeiter ein, um unsere Arbeit auf mehr Schultern verteilen zu können. Leider lief die Zusammenarbeit nicht so gut, wie wir uns das vorgestellt hatten, sodass wir uns nach einem halben Jahr wieder trennten. Die Idee personeller Verstärkung ließ uns aber nicht los, und so stellten wir 2001 erneut einen Webentwickler ein, Christian, der uns für mehrere Jahre unterstützte und verschiedene bis heute aktive Websites mit entwickelte, darunter www.buechi-yachting.com.
JUGEND für Europa
Im Jahr 2001 beauftragte uns die Nationalagentur für das EU-Aktionsprogramm JUGEND mit der Entwicklung eines Online-Fortbildungskalenders für Fachkräfte der Jugendarbeit. Jeder, der eine entsprechende Fortbildung organisierte, sollte diese selbst eintragen können. JUGEND für Europa, die Nationalagentur, würde die Angebote dann prüfen und freischalten und Interessierte sollten sich online dafür anmelden können.
Aus dieser Zusammenarbeit entstand unsere bis heute intensivste Kundenbeziehung. Zunächst entwickelten wir 2003 eine Gruppe von mehreren unterschiedlich gestalteten Websites mit einheitlichem Content-Management-System für verschiedene Zielgruppen des Förderprogramms JUGEND. Eine davon war der Youthreporter, eine Blogplattform für jugendliche Teilnehmer des Förderprogramms hinzu, die 19 Jahre lang aktiv bleiben sollte und über die fast 13.500 Beiträge veröffentlicht wurden.
Später entwickelte JUGEND für Europa das Konzept für ein europaweites Instrument zur Anerkennung nicht-formalen Lernens: Den Youthpass. Youthpass beschreibt zum einen einen Prozess, wie Projekte der internationalen Jugendarbeit so organisiert werden können, dass die Teilnehmer sich ihrer eigenen Lernerfahrungen bewusst werden. Er bietet aber zugleich auch ein Zertifikat, über das diese Lernerfahrungen dokumentiert werden können. Hierfür entwickeln wir seit 2006 die technische Plattform auf www.youthpass.eu. Youthpass ist offizieller Bestandteil des Förderprogramms und jeder Teilnehmer hat das Recht auf ein Zertifikat. Bis heute sind fast 1,5 Millionen Youthpass-Zertifikate über das System erstellt worden. Seit 2020 befinden wir uns in einem intensiven Weiterentwicklungs- und Modernisierungsprozess.
2009 entwickelten wir für JUGEND für Europa zudem ein Online-Anmeldesystem für die Buchung der Begleitseminare, an denen Freiwillige im Europäischen Freiwilligendienst (heute Solidaritätskorps) teilnehmen. Organisationen, die einen Freiwilligen betreuen, können sich online in dem System registrieren und ihren Freiwilligen für die passenden Seminare anmelden. Dabei wird automatisch berücksichtigt, für welche Seminare noch Plätze frei sind. Die Seminarveranstalter können sich dann über wfDynamic fertige Teilnehmerlisten für ihre Seminare herunterladen. Bis heute wurden über 8000 Freiwillige über das System zu ihren Seminaren angemeldet.
Aus einer internationalisierten Version des Fortbildungskalenders entstand 2001 das Webportal SALTO-YOUTH.net, das die Zusammenarbeit und Vernetzung zwischen Fachkräften der Jugendarbeit in ganz europa unterstützt.
Ruhrtriennale
Über die Zusammenarbeit mit Haubrok kamen wir 2002 in Kontakt mit der prominenten Werbeagentur Boros, die für einen Kunden ein Content-Management-System suchte. Bei dem Kunden handelte es sich um die Ruhrtriennale, ein neu geschaffenes Kulturfestival, das Industriebrachen im Ruhrgebiet mit neuem Leben erfüllte. Boros entwickelte das Webdesign, wir die dahinterliegende Software. Die Ruhrtriennale betreuten wir über vier Intendanzen hinweg (Gerard Mortier, Jürgen Flimm, Willy Decker, Heiner Goebbels) bis 2015.
wfDynamic 3
Aufgrund von verschiedenen Kundenwünschen entschieden wir uns, wfDynamic von Grund auf neu zu entwickeln und mit professionellen Redaktionsfunktionen auszustatten. Die Ruhrtriennale sollte das erste Projekt werden, für das die Version 3 unseres Content-Management-Systems zum Einsatz kam. Kern des Systems war eine Hierarchie von Seiten, die in verschiedenen Versionen existieren konnten, mit einem Freigabeworkflow. Sämtliche Inhalte sollten in beliebig vielen Sprachen angelegt werden können. Dafür opferten wir die Flexibilität im Datenmodell. Es war durch die kompliziertere Datenbankstruktur wesentlich weniger einfach als in wfDynamic 2, neue Datentypen anzulegen. Zugleich war die Ausgabe der in wfDynamic erfassten Inhalte wesentlich umständlicher und rechenaufwändiger, da zum Beispiel für den Aufbau einer Seite mit einer Navigation und einer Liste von Terminen zunächst für eine große Zahl von Datensätzen die richtige, freigegebe Version in der richtigen Sprache geladen werden musste.
Letztendlich war die Entwicklung von Systemen auf Basis von wfDynamic 3 unverhältnismäßig viel teurer als auf Basis von wfDynamic 2, sodass wir nur wenige Kunden für das neue System gewinnen konnten. Schließlich entschieden wir uns, in Zukunft wieder auf Basis von wfDynamic 2 weiterzuentwickeln. Aus wfDynamic 3 übernahmen wir Innovationen, die sich bewährt hatten – unter anderem das bis heute aktuelle, fensterbasierte User Interface.
Azubis in der webfactory
2005 entschieden wir uns, unseren ersten Auszubildenden zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung aufzunehmen. Matthias war fast fertig mit seinem Wirtschaftsinformatik-Studium und fühlte sich reif für die Weitergabe seines Wissens. Per war in Rekordzeit mit der Ausbildung fertig und legte Anfang Januar 2007 seine Abschlussprüfung ab. Die positive Erfahrung bestärkte uns darin, direkt im Sommer 2007 unseren zweiten Auszubildenden aufzunehmen. Diesmal entschieden wir uns gemeinsam mit Søren, dass er ein Mediengestalter für Digital- und Printmedien werden würde. Auch Søren war von Beginn an eine große Bereicherung des Teams, sodass wir direkt 2008 mit Herman einen weiteren Azubi zum Mediengestalter aufnahmen und 2010 dann parallel einen angehenden Fachinformatiker, Simon, und Jessica als angehende Mediengestalterin. 2011 legten wir nach mit Benjamin als weiterem Fachinformatiker und Marc als weiterem Mediengestalter. 2016 folge noch Konstantin, ein weiterer Fachinformatiker und 2018 kamen schließlich Jano als Fachinformatiker und Lukas als Mediengestalter, sodass wir bis heute 10 junge Menschen ausgebildet haben.
Der Gemeinsame Bundesausschuss
Im Jahr 2006 gewannen wir eine Ausschreibung für die technische Implementierung der Website des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Der G-BA ist das Gremium, in dem Ärzte- und Krankenhausvertreter mit den Krankenkassen und Patientenvertretern über den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland entscheiden. Diese Entscheidungen sollten öffentlich auf der Website dokumentiert werden. Der G-BA war 2004 ins Leben gerufen worden und hatte schon einige hundert Entscheidungen getroffen, die alle manuell und ohne strukturierte Erfassung auf die Website hochgeladen worden waren. Dementsprechend hoch war der Veränderungsdruck. Die Agentur für Wissenschaftskommunikation Bosse und Meinhard hatte für die Website eine ausgeklügelte Informationsarchitektur entwickelt, die es nun technisch umzusetzen galt.
Bis heute basiert die Website www.g-ba.de auf dieser Informationsarchitektur und auf dem damals entwickelten Datenmodell und Programmcode, obwohl sie inzwischen gestalterisch mehrfach gerelauncht und erweitert wurde.
Für den G-BA entwickelten wir in den Folgejahren auch weitere Anwendungen, unter anderem ein Extranetsystem, das heute von 8 verschiedenen Abteilungen genutzt wird und den Versand von Tausenden von CD-ROMs an die Entscheidungsträger im Vorfeld der Gremiensitzungen einsparte. Auch weitere Websites und Anwendungen entstanden für den G-BA, unter anderem ein Online-Tool für Krankenhäuser zur Erfassung der Meldebögen für die Festlegung des sogenannten Systemzuschlags (systemzuschlag.g-ba.de), ein Online-Bestellsystem für Druckerzeugnisse (druckerzeugnisse.g-ba.de) und die Website des Innovationsausschusses beim G-BA (innovationsfonds.g-ba.de).
Umbau in Bonn und Standort Berlin
Im Jahr 2007 stellten wir fest, dass unser unser Teppichboden inzwischen zu fleckig war, und beschlossen, zu renovieren. Und wenn man Teppiche tauscht, muss man nicht nur das ganze Büro leer räumen, sondern wird automatisch mit der Frage konfrontiert, ob man anschließend die gleichen Möbel wieder an ihre alten Stellen stellen möchte. Und so wurde daraus unser bis dahin größtes internes Projekt: Das neue webfactory-Büro, das wir 2008 mit einer großen "11 Jahre"-Party einweihten.
Kurze Zeit später entschied sich unser Gründungsmitglied Philipp Bosch, seinen Lebensmittelpunkt nach Berlin zu verlegen und wir eröffneten dort eine kleine Ein-Mann-Dependance. Leider stellte sich das nicht als dauerhaft zufriedenstellende Lösung heraus, eine Person in Berlin und 5 Kollegen in Bonn, und Philipp entschied sich schweren Herzens, die webfactory zu verlassen.
Webanwendung "Sicherer IT-Betrieb"
2010 gewannen wir den Auftrag, für das Informatikzentrum der Sparkassenorganisation eine Webanwendung zu entwickeln, über die Sicherheitsaudits in Banken durchgeführt werden sollten. Ein großes Projekt mit einem hohen Anspruch, für das wir uns mächtig ins Zeug legten. Wir entwickelten eine Anwendung, über die hunderte Fragen, die eine Bank im Rahmen der Auditierung beantworten musste, über mehrere Stufen an denjenigen Sachbearbeiter delegiert werden konnten, der sie am besten beantworten konnte. Hatte der seine Antwort fertiggestellt, reichte er sie bei der Person ein, die die Frage an ihn delegiert hatte, und diese dann wiederum bei ihrem Vorgesetzten – die ganze Delegationskette entlang bis zum Leiter des Audits. Das Webbasierte Audit sahen wir als unser Meisterstück der Webentwicklung.
Personelle Veränderungen
2011 überschritten wir dank unserer vielen Azubis erstmalig die Schwelle von 10 Mitarbeitern. Wir brauchten zum einen mehr Platz, zum anderen mussten wir uns besser koordinieren. Wir stellten daher im Laufe des Jahres zwei Projektmanager ein. Und wir nutzten die Gelegenheit, dass die Weinhandlung gegenüber umzog, zur Erweiterung unserer Räumlichkeiten: Das webfactory-Lab war geboren.
2013 verließ uns unser erster Auszubildender Per nach 8 Jahren toller Zusammenarbeit, um sich neuen Herausforderungen zu stellen. Immerhin nicht ohne uns direkt zwei neue Mitarbeiter zu vermitteln, die er beim "Code and Coffee" kennengelernt hatte. Einer der beiden war Malte, der erste Diplom-Informatiker im webfactory-Team.
2014 verließ uns dann auch unser zweiter Auszubildender Søren, um auf Wanderschaft zu gehen. Nach Stationen bei Sapient Nitro (heute PublicisSapient) und Chefkoch konnten wir ihn 2017 überzeugen, zu uns zurückzukehren – bereichert um jede Menge Erfahrungen aus unterschiedlichsten Großprojekten.
Kurz nach Sørens Weggang konnten wir Stefan als neuen Frontend-Entwickler gewinnen, der unser Team seitdem verstärkt.
2014 war insgesamt ein turbulentes Jahr, in dem wir kurzzeitig Angst um unsere Existenz hatten (verschiedene Kunden hatten Aufträge zurückgestellt) und uns im Sommer daher schweren Herzens entschieden, zwei betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Damit uns das nie wieder passiert, haben wir uns entschieden, Rücklagen aufzubauen, um Durststrecken überwinden zu können. Und hierfür vor allem besser und realistischer zu kalkulieren und abzurechnen als vorher. Es entstand unser T-Shirt-Größen-Verfahren für die Aufwandsschätzung.
Vorträge und Meetups
Seit 2013 geben wir unser Wissen nicht nur in Form von betrieblicher Ausbildung weiter, sondern halten auch Vorträge auf Meetups und Konferenzen. Den Anfang machte Matthias mit seinem Vortrag Marry Me...? über die schrittweise Migration von Altcode auf Symfony 2. Dieser erste Vortrag bei der Symfony User Group Köln machte gleich in doppelter Hinsicht Lust auf mehr: Wir beschlossen, dass wir Meetups toll finden und selbst in unserem neuen Lab welche hosten würden. Im Laufe der Jahre hatten wir die BonnAgile bei uns zu Gast, den Scrumtisch Bonn und mehrmals die UXBN und das Bonn Data Science Meetup. Und Matthias beschloss, dass es ihm Spaß macht, Vorträge zu halten.
2017 folgte Matthias' erster Vortrag auf einer großen Konferenz, der Symfony Live, mit einer Fallstudie über die Nutzung des Specification-Patterns in der Website der Staatsoper Berlin. 2018 legte er nach und präsentierte das Paketmanagement mit Composer auf der Symfony Live im Phantasialand, und 2019 bei der SymfonyCon Amsterdam über das HTTP Caching in Symfony. Malte übernahm den Staffelstab und hat inzwischen diverse Vorträge auf der FrOSCon in Sankt Augustin und der SymfonyWorld Online gehalten, unter anderem Extraktion von Microservices aus einer monolithischen Webanwendung, PHP-Anwendungen toolgestützt aktualisieren, Tools for Upgrading Symfony Applications und Mit Pull Requests arbeiten. Der bislang einzige Kollege, der je einen Vortrag auf einer von der webfactory ausgerichteten Veranstaltung gehalten hat, ist Søren – und das nicht nur einmal: Auf der UXBN im Dezember 2017 sprach er über Performance als Usability-Ziel und im April 2019 über Usability bei Web-Formularen.
Unternehmenswert Mensch
Ein schwelender Konflikt und schlechte Stimmung im Team brachten uns 2016 in Kontakt mit der Psychologin und Prozessberaterin Lucie Lewandowski und diese wiederum mit dem Förderprogramm "Unternehmenswert Mensch", das zum Ziel hat, Unternehmen dabei zu unterstützen, mitarbeiterorientierte und wertschätzende Führung zu etablieren. Natürlich waren wir vorher schon davon überzeugt, dass die webfactory super mitarbeiterorientiert wäre – aber die Prozessberatung, im Rahmen derer wir uns über mehrere Monate regelmäßig mit "unserer Psychologin" trafen, hat uns rückblickend extrem weitergebracht und uns für vieles die Augen geöffnet. Zum Beispiel dafür, dass es Unterschiede zwischen Geschäftsführern und dem Rest des Teams gibt, die nicht einfach weggehen, indem man sagt "wir sind hier alle gleich". Oder, dass man nicht allein dadurch ein diverses Team hat, dass man sagt, dass jeder machen kann, was er will und sein kann, wie er will. Oder, dass man auch bei internen Prozessen dafür sorgen muss, dass sie nicht ergebnislos im Sand verlaufen. Die bis heute prägendsten Ergebnisse der Beratung sind die soziokratische Entscheidungsfindung, die explizite Ermächtigung des Teams, dass jeder alles kaufen darf, was er braucht (mehr zu den beiden Punkten im Artikel über unsere Unternehmenskultur) und unser monatliches "Interne Baustellen"-Meeting (hierzu mehr in "Unser Besprechungs-Stundenplan"). Und, nicht zu vergessen: dass wir zu Beginn jeder Besprechung "ankoppeln", also jeder kurz berichtet, wie es ihm geht.
Staatsoper Berlin und Staatstheater Darmstadt
Kaum schließt sich eine Tür im Leben, öffnet sich eine neue: Das Marketing-Team der Ruhrtriennale hatte Ende 2014 nach über 13 Jahren Zusammenarbeit entschieden, sich einen neuen Partner für die Betreuung der Website zu suchen. Doch wir hatten nicht lange Zeit, den Verlust unseres Kultur-Kunden zu betrauern: im Frühjahr 2015 meldete sich die Staatsoper Berlin bei uns. Deren Marketingleiterin war dem Intendanten Jürgen Flimm von der Ruhrtriennale an die Staatsoper gefolgt und hatte die Zusammenarbeit mit uns in bester Erinnerung. Und so kamen wir zu der Ehre, zunächst eine Website für die Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim zu entwickeln (pünktlich zu deren 450-jährigem Jubiläum) und anschließend die Website der Staatsoper Berlin auf das für die Staatskapelle konzipierte Content-Management-System auf der Basis von wfDynamic umzustellen.
Noch bevor die Website der Staatsoper online ging, entschied sich auch das Staatstheater Darmstadt zu einem Relaunch seiner Website auf Basis von Symfony und wfDynamic. Da wir nun drei Theaterwebsites entwickeln mussten, entschieden wir uns, hierfür ein wiederverwendbares Softwarepaket zu entwickeln: Es entstand das "Bacchus-Bundle", das die Kernfunktionalität für eine Theaterwebsite bündelt. Die Pflege von Produktionen und Terminen sowie Spielstätten, Künstlern und Besetzungen und die Generierung von Spielplänen muss nun nicht mehr für jedes Theater individuell programmiert werden, sondern steht über das Paket zur Verfügung. Auch Schnittstellen zu verschiedenen Ticketsystemen (Eventim Inhouse und Bilettix) sowie der Dispositionssoftware Theasoft haben wir inzwischen für die Theater realisiert und pflegen mit beiden Häusern eine intensive Zusammenarbeit bei der Weiterentwicklung der Onlineangebote. Das schöne am Bacchus-Bundle ist, dass diese Weiterentwicklungen allen zu Gute kommen.
Kaffee-Sponsoring auf Konferenzen
Die Projektlage Anfang 2017 war somit sehr erfreulich – leider verließen uns im ersten Halbjahr drei Mitarbeiter, und das, nachdem bereits im Sommer 2016 ein Entwickler aus Bonn weggezogen war und daher den Arbeitgeber wechseln musste (es war vor Corona und 100% remote arbeiten war damals bei der webfactory noch unvorstellbar). Vor diesem Hintergrund entschieden wir, dass unsere gerade neu angeworbene Kollegin Eva, die ihre Promotion in Biologie zu Gunsten der webfactory aufgegeben hatte, erst einmal intensiv um neue Mitarbeiter werben sollte. Ihr erstes Projekt war die Organisation eines Kaffeestandes auf der FrOSCon 2017, einer renommierten Open Source-Software-Konferenz in Sankt Augustin bei Bonn. Hierfür arbeiteten wir mit Ruth Außenhofer zusammen, die einen exzellenten Baristaservice betreibt. Und natürlich musste es stilvoll zugehen, daher ließen wir in Italien Cappuccinotassen mit webfactory- und FrOSCon-Logo produzieren.
Da die Zusammenarbeit uns sehr viel Spaß gemacht hatte, entschieden wir uns, im Frühjahr 2018 einen Schritt weiterzugehen und auch den Kaffeestand auf der Symfony Live zu übernehmen, die damals im Phantasialand stattfand, einem großen Freizeitpark zwischen Bonn und Köln. Leider fand die Symfony Live danach nicht mehr im Rheinland statt sondern zog nach Berlin – für uns ein Grund abzuspringen, denn der Organisationsaufwand war ohnehin eigentlich zu hoch für eine kleine Firma wie uns, und auch Ruth wäre mit ihrer Kaffeemaschine vermutlich nicht nach Berlin gereist.
Citylight-Werbung um neue Mitarbeiter
Für die Mitarbeitergewinnung hat sich ein anderes Instrument besser bewährt: Anfang 2018 schalteten wir sogenannte Citylight-Poster an Bonner Bus- und Bahnhaltestellen. Unter anderem am Uni-Hauptgebäude, am Bonner Hauptbahnhof und am Konrad-Adenauer-Platz in Beuel. Und siehe da: Das Plakat in Beuel war der letzte Schubs, den ein Mitschüler unseres ehemaligen Auszubildenden Benjamin brauchte, um sich endlich bei uns zu bewerben. Wenige Wochen später durften wir Martin als neuen Softwareentwickler im Team begrüßen.
Ganz ohne Werbung, sondern durch reines Vitamin B, kamen zwei andere geschätzte Kollegen zu uns ins Team: Ich hatte zum 100-jährigen Jubiläum meiner früheren Schule, des Bonner Clara-Schumann-Gymnasiums, angefangen, im Schulchor mitzusingen. Dort sang ich mit Jano zusammen im Tenor. Und in der Mittagspause eines Probenwochenendes kamen wir darauf zu sprechen, dass er plante, Informatik zu studieren und schon jede Menge Erfahrung mit PHP und Linux hatte. Ich erzählte natürlich, dass ich in einer Webagentur arbeite, die auf PHP spezialisiert ist, und wir händeringend neue Kollegen suchen. Es dauerte nicht lange, bis Jano als Werksstudent bei uns anfing und sich schließlich sogar entschied, sein Studium aufzugeben zugunsten einer Ausbildung bei uns.
Lukas hingegen erwähnte gegenüber dem Freund seines Vaters, dass er sich für Gestaltung interessierte – und der Freund seines Vaters war ein guter Freund unseres Teammitglieds Stefan. So kam es dazu, dass Lukas nach der Schule ein Praktikum bei uns machte (mehr dazu im seinem spannenden Praktikumsbericht) und sich schließlich entschied, eine Ausbildung zum Mediengestalter bei uns zu absolvieren. Dafür nahm er nach reiflicher Überlegung sogar eine Fernbeziehung in Kauf. Glücklicherweise hat die Beziehung die räumliche Trennung gut überstanden und Lukas lebt inzwischen dank Homeoffice wieder mit seiner Freundin zusammen im Sauerland.
Das neue webfactory-Büro
Da auch Søren inzwischen zur webfactory zurückgekehrt war, war uns unser Büro nun langsam zu klein. Und auch hier half uns das Schicksal, unsere Trägheit zu überwinden: Das Haus in der Lessingstraße 60 wurde an einen neuen Eigentümer verkauft, der nicht nur sehr genaue Vorstellungen mitbrachte, was wir in unseren Kellerräumen lagern dürften und was nicht, sondern kurze Zeit später auch unsere Miete drastisch erhöhen wollte. Daher begannen wir, uns auf Immobilienbörsen nach anderen Mietobjekten in der Nähe umzuschauen – und wurden in der Heinrich-von-Kleist-Straße fündig. Das neue Büro, lustigerweise direkt neben meinem früheren Kindergarten gelegen, war gerade frisch saniert und schlug Matthias und mich direkt bei der ersten Besichtigung in seinen Bann. Es war mit 220qm fast doppelt so groß wie das alte Büro und sollte somit genug Platz für die weitere Entwicklung bieten.
Kurzerhand unterschrieben wir den Mietvertrag, aktivierten unsere Lieblingshandwerker Mark Hesterbrink und Michael Schuh, damit sie möglichst viele Möbel sowie die lieb gewonnene Beleuchtung aus dem alten ins neue Büro transferieren konnten, und zogen im September 2019 um.
Ab nach Hause!
Der Umzug war gerade rechtzeitig abgeschlossen, um uns noch einige Monate im neuen Büro zu lassen, bevor es im März 2020 hieß: Ab nach Hause! Die Corona-Infektionszahlen gingen gerade durch die Decke und die Bundesregierung rief dazu auf, soweit irgend möglich im Homeoffice zu arbeiten. Wir fanden uns zu einer Teambesprechung zusammen, entschieden, dass wir das möglich machen wollten, und meldeten am 10. März via Twitter:
Wir haben entschieden, Verantwortung zu übernehmen und ab heute geschlossen im Home Office zu bleiben. Die COVID-19 Gefahr für jeden Einzelnen von uns ist gering aber jeder kann dafür Sorge tragen, nicht zum Spreader zu werden: Für unsere (älteren) Mitbürger, Freunde, Familien!
Nach einer kurzen Umgewöhnung stellten wir fest, dass wir im Homeoffice als Team extrem produktiv sein können, und fanden in Form von täglichen Google Meet-Videokonferenzen auch einen guten Weg, intensiven Kontakt zu halten. Eine Nebenwirkung: Alle Kunden hatten plötzlich auch Videokonferenz-Ausrüstung, sodass wir uns so oft sehen konnten wie nie zuvor. Telefonkonferenzen gehören seitdem der Vergangenheit an – warum auch telefonieren, wenn man sich stattdessen per Video in die Augen sehen kann?
Erfahrungen mit Arbeitskräftemigration
Da wir nun schon seit Jahren personelle Verstärkung suchten, entschieden wir uns Anfang 2020 für ein besonderes Experiment: Über private Beziehungen hatten wir Kontakt zu Amitay, einem kubanischen Informatiker, der in Mexiko arbeitete und Interesse hatte, nach Deutschland zu kommen. Auch wenn er kein Deutsch sprach und keine Erfahrungen mit unserem Technologie-Stack hatte, entschieden wir uns, ihn anzusprechen. Was man nicht kann, kann man lernen, dachten wir – und Amitay war Feuer und Flamme, es auszuprobieren.
Nun stand zunächst ein intensiver Meinungsbildungsprozess in der webfactory an. Schließlich hatten wir noch nie jemanden im Team gehabt, der kein Deutsch sprach, und es gab unterschiedliche Meinungen dazu, wie gut unsere Teammeetings unter diesen Voraussetzungen funktionieren würden. Wir entschieden uns, es zu versuchen. Bezüglich der Sprache überlegten wir uns die Regelung, dass wir die ersten 8 Wochen ausschließlich Englisch sprechen würden und dann Woche für Woche ein Teammitglied auf Deutsch wechseln würde, sodass nach einigen Monaten wieder jeder in seiner Sprache sprechen könnte und Amitay, dem wir parallel Deutschkurse finanzierten, einen weichen Übergang haben würde. Fachliche Besprechungen in Projekten würden wir natürlich weiterhin auf Englisch machen und in anderen Besprechungen bei Bedarf übersetzen.
Wir lernten, dass es im Prinzip dank des "Blue Card"-Programms der EU nicht schwer ist, für Arbeitskräfte ein Visum für die Einreise nach Deutschland zu bekommen. Es gab noch ein paar kleinere Stolpersteine auf dem Weg, aber trotz der Reisebeschränkungen und eingeschränkter Öffnungszeiten der Botschaften mitten im ersten Corona-Jahr konnten wir Amitay im Januar 2021 am Flughafen Frankfurt in Empfang nehmen.
Leider ist er inzwischen nicht mehr in unserem Team, sondern hat sich entschieden, zu einer anderen Bonner Firma zu wechseln, in der er wieder in seiner gewohnten Programmierumgebung (C#/.net) entwickeln kann. Aus meiner Sicht haben wir die Sprachbarriere gut gemeistert, auch wenn ich es als überraschend schwierig empfunden habe, Software-Entwurfsfragen auf Englisch zu diskutieren – und das, obwohl wir uns täglich auch mit Kunden auf Englisch abstimmen. Auch die technische Einarbeitung in PHP und Symfony hat gut funktioniert. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass das zu viel Fremdheit auf einmal war. Ein fremdes Land und eine fremde Sprache sind schon eine ganz schön große Umgewöhnung, man sollte das vielleicht nicht auch noch mit einem fachlichen Sprung ins kalte Wasser verbinden.
Open Source Software veröffentlichen zahlt sich aus
2012 hatten wir im Rahmen unserer Bemühungen, für alle unsere Bestandskunden eine Weiterentwicklung ihrer Produkte auf Basis von Symfony zu ermöglichen, das Legacy Integration Bundle als Open Source-Software veröffentlicht (mehr dazu auf der Leistungsseite "Langlebige Softwareprodukte"). 8 Jahre später erhielten wir eine Bewerbung eines begeisterten Nutzers. Fabian plante seinen Umzug nach Bonn und war fest entschlossen: "Wenn ich mal in Bonn arbeite, möchte ich zur webfactory". Er hatte das Legacy Integration Bundle bei seinem früheren Arbeitgeber kennengelernt und offenbar einen guten Eindruck von uns gewonnen.
Gut war auch unser Eindruck von Fabian und so zögerten wir nicht lange, ihn ins Team aufzunehmen.
Kinder in der webfactory
Stand heute sind 5 Kinder von webfactory-Kollegen zur Welt gekommen: Felix, Florentine, Lasse, Timo und Aino. Wir freuen uns sehr, sie im erweiterten Team zu haben. Dank dieser Kinder haben wir jede Menge Arbeitszeitmodelle ausprobiert: Mein Geschäftsführer-Kollege Matthias teilte sich die Elternzeit zu gleichen Anteilen mit seiner Frau und reduzierte seine Wochenarbeitszeit für mehrere Jahre auf 50%. Ich selbst nahm mir einen Tag pro Woche frei und kam auf 80%. Stefan übernahm den größeren Anteil der Betreuung seiner Tochter und reduzierte auf 40%. All das ließ sich gut einrichten und ich freue mich, dass wir so viel Zeit mit unseren Kindern verbringen konnten.
Schade nur, dass wir noch keine Frauen mit Kindern im Team haben. Aber was nicht ist, kann ja vielleicht noch werden!
Weitere Kunden
Abschließend möchte ich noch einige Kunden erwähnen, die bisher keinen Platz in diesem geschichtlichen Abriss hatten, aber trotzdem zu wichtig sind, um den Artikel schon an dieser Stelle zu beenden.
Zum einen ist da die Agentur Euro-Informationen, für die wir seit dem Jahr 2000 verschiedene Websites entwickelt haben, die teilweise durch Fördermittel, teilweise durch Werbung oder Provisionen finanziert wurden. Die größte davon ist www.krankenkassen.de. Eine Website, die über 10 Jahre lang aus technischer Perspektive einfach nur vor sich hin funktionierte und Anzeigenerlöse generierte, bis wir einen Online-Wechselservice umsetzten. Seitdem kann man über die Website die Krankenkasse wechseln und die Abhängigkeit von Werbeerlösen ist weggefallen. Der Wechselservice ist so erfolgreich, dass er inzwischen um API-Schnittstellen zu großen Krankenkassen erweitert wurde, über die die Wechselanträge direkt ins IT-System der Krankenkasse übertragen werden, sowie um eine Lösung, mit der man die Anträge direkt online unterschreiben kann.
Dann wäre da noch der Deutsch-Südafrikanische Reisedienst (DSAR), ein kleiner Bonner Reiseveranstalter, der uns im Frühjahr 2017 kontaktierte. Die Firma war ausgelastet und die Kunden zufrieden mit dem Webangebot, aber der Inhaber wollte die Website technisch und gestalterisch modernisieren und das umfangreiche Wissen der Firma über das südliche Afrika ins Netz bringen. In der Anfrage hieß es:
Meine Idealvorstellung ist eine contentbasierende Plattform, in der wir all das Wissen erfassen können, welches wir über unser Zielgebiet (das südliche Afrika) haben. Also keine Infohäppchen, sondern eher eine wie ein Wiki vernetzte Struktur, in der der potentielle Kunde sich fundiert über Individualreisen durch das südliche Afrika informieren kann. Trotzdem soll es optisch inspirieren und muss am Ende natürlich einen Teil der Besucher davon überzeugen, eine Reise bei uns zu buchen.Im Grunde nicht anders als in der Open Source Entwicklung: Ich präsentiere unser Wissen um das Zielgebiet (also den Source Code) und verdiene an den Kunden, die keine Zeit haben, sich die Reise selber zusammen zu stellen. Zumal wir mehr Erfahrung und die besseren Tools haben.
Diese Philosophie war uns natürlich ausgesprochen sympathisch. Spannend war auch, dass der DSAR bereits eine ganze Reihe an internen Softwaretools entwickelt hatte, darunter einen Reiseplaner, in dem alle Unterkunftsdaten hinterlegt waren und über den individuelle Reiseverläufe visualisiert werden können. Die Touren aus diesem System kann der DSAR nun über eine Schnittstelle direkt auf der Website veröffentlichen und sie werden dort in einem Zeitstrahl präsentiert (ein Beispiel: die zweiwöchige Namibia-Rundreise). Da wir 2017 beim besten Willen keine Zeit hatten, haben wir den DSAR gebeten zu warten. Und im Januar 2018 konnte es dann endlich losgehen. Der DSAR ist insofern besonders, als er einer unserer wenigen Kunden ist, die über ihre Website tatsächlich unmittelbar Geld verdienen müssen – und das als Kleinunternehmen, für das ein solches Projekt eine beachtliche Investition ist. Und er ist auch besonders dadurch, dass er als Reiseveranstalter durch Corona massiv betroffen war und das komplette Geschäft pausieren musste. Glücklicherweise hat der DSAR die Pandemie gut überstanden und freut sich, jetzt wieder Reisegäste nach Afrika bringen zu können. Last but not least: der DSAR ist der erste Kunde, dem wir Zugriff auf sein GitHub-Repository gegeben haben (mehr zum Hintergrund auf der Seite "Offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit"). Ursprünglich vor allem, damit der technisch bewanderte Kunde die im Code hinterlegten logischen Regeln selbst einsehen und über den Pull-Request-Mechanismus von GitHub Änderungen vorschlagen konnte, doch diese Art der Zusammenarbeit hat sich so gut angefühlt, dass wir sie inzwischen allen Kunden nahelegen.
Schließlich gibt es da unter unseren Kunden noch die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur. Sie übernimmt im Auftrag der Bundesregierung die wissenschaftliche Begleitforschung für den Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektro-Autos. Das Forscherteam hatte uns gefunden über eine Suche nach den Stichworten "Agil" und "Symfony" und sich bereits auf unserer Website informiert. Als dann die Anfrage kam, waren wir natürlich direkt auf einer Wellenlänge. Und das Projekt brauchte auch tatsächlich einen sehr agilen Prozess: Es musste eine komplett neue Software entwickelt werden und der Projektzeitraum war auf knapp 6 Monate begrenzt. Auch die Aufgabenstellung war spannend: Die Forschungsarbeit sollte unter anderem auf der Auswertung der Ladedaten an einer großen Zahl von Ladestationen unterschiedlichster Betreiber basieren. Die Betreiber erhielten staatliche Förderung für den Aufbau der Ladestationen und waren im Gegenzug verpflichtet, jedes halbe Jahr die Ladedaten zu übermitteln. In der ersten Runde war das per Mail erfolgt, die Leitstelle hatte also hunderte Excel-Dateien mit teilweise unterschiedlichen Strukturen erhalten, die sich nur mit enormem personellen Aufwand zusammenführen ließen. Die Aufgabe bestand nun darin, einen Online-Prozess für den Upload der Excel-Dateien umzusetzen und die Daten dabei in eine Datenbank zu übernehmen, auf deren Basis die Forschung stattfinden konnte. Zusätzlich werden für jede Ladestation auch noch über 60 Stammdaten erhoben (zum Beispiel, wie der Stellplatz markiert ist und welche Bezahlverfahren unterstützt werden). Ein Projekt genau nach unserem Geschmack, und eine extrem fokussierte und konstruktive Zusammenarbeit. Einen Namen für das System dachte sich mein Kollege Matthias aus: OBELIS, kurzform für Online-Berichterstattung Ladeinfrastruktur (inzwischen als OBELIS öffentlich Teil einer Familie von Angeboten). Zum Abschluss des Projekts gab es eine große Überraschung: Eine OBELIS-Torte für die webfactory!