Unternehmenskultur

Unsere Unternehmenskultur im Jahr 2023

Wir schreiben auf unserer Startseite, dass wir eine "ganz besondere Unternehmenskultur" haben. Haben wir damit den Mund nicht etwas zu voll genommen? Sagt das nicht jeder? Versuch einer Beweisführung über eine Bestandsaufnahme im Januar 2023.

Artikel von:
Sebastian
Veröffentlicht am:2023-01-27

In diesem Beitrag

Ein menschenorientiertes Unternehmen

Die webfactory ist ein kundenorientiertes Unternehmen, und ein mitarbeiterorientiertes Unternehmen obendrein. Oder andersherum? Mitarbeiter- und Kundenorientierung ist uns gleichermaßen wichtig. Ich glaube, wenn man den Begriff menschenorientiert verwendet, trifft das die Sache ganz gut. Für mich bedeutet es, dass wir sowohl unseren Mitarbeitern als auch unseren Kunden jeden Wunsch erfüllen – solange es sich möglich machen lässt, ohne jemanden zu beeinträchtigen.

Ein Beispiel: Anfang 2020 haben wir in unserer Mitarbeiterzufriedenheitsumfrage herausgefunden, dass unsere Arbeitszeiten nicht für jeden im Team gut mit seinem persönlichen Biorhythmus vereinbar sind. Eigentlich hatten wir bereits volle Flexibilität bei der Arbeitszeit – nur dummerweise ein freiwilliges tägliches Standup-Meeting um 9:45 Uhr. Die Eulen unter uns stellte das aber vor die Wahl, entweder ihre Kollegen nicht regelmäßig zu sehen oder zu einer Zeit mit der Arbeit zu beginnen, zu der sie am liebsten schlafen würden. Was aber hat eine Firma für einen Vorteil davon, wenn ihre Mitarbeiter zu Zeiten arbeiten, zu denen sie nicht ihre optimale Leistung bringen können? In einem internen Projekt haben wir dann einen neuen Besprechungsrhythmus erarbeitet, evaluiert und umgesetzt. Unsere morgendlichen Standups sind einem Daily Café zur Mittagszeit gewichen. Da ist jeder wach. Und Kundentermine hatten wir zu dieser Zeit ohnehin selten.

Ein weiteres Beispiel: Am 10. November 2022 (einen Tag vor Beginn der Karnevalssaison hier im Rheinland) hatten wir ein erstes Gespräch mit unserem Kunden über eine Website für neue Fördermöglichkeiten der EU. Die erste Antragsfrist für den Erhalt der Förderung stand fest, es war der 23. Februar 2023. Damit die potenziellen Antragsteller sich vorher noch über das Programm informieren konnten, war es für unseren Kunden wichtig, die Website möglichst schon im Januar zu veröffentlichen. Es blieben also ungefähr 8 Wochen Zeit. Das Design sollte von der Corporate Design-Agentur des Kunden beigesteuert werden. Allerdings hatte die noch gar nicht mit der Arbeit begonnen. Dank der eingespielten Zusammenarbeit mit unserem Kunden und seiner Designagentur ist es gelungen, die Website www.erasmusplus-sport.de pünktlich am 17.01.2023 zu launchen – und das trotz Krankheiten und ohne, dass einer von uns die traditionell freie Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr opfern musste. Unser Kunde schreibt:

[...] danke für die großartige Umsetzung des Designs ins Web. Danke fürs Einrichten des Backends mit all den damit verbundenen Neuerungen im CMS. Danke für den Kampf mit diversen Endgegnern (z.B. Hero-Gestaltung [...]) und vor allem Dank dafür, dass ihr kein einziges Mal gesagt habt: „Das geht zeitlich nicht.“ (Also, ich hätte es verstanden…) ;-)

Soziokratische Entscheidungen

Fast alles, was die webfactory betrifft, entscheidet bei uns das Team gemeinsam – von Arbeitszeiten und Besprechungsterminen über die Einrichtung der Büroräume bis hin zum Gehaltsmodell. Dass wir dafür nicht wochenlange basisdemokratische Diskussionen führen müssen, ermöglicht uns ein ausgeklügelter Entscheidungsprozess: Beim soziokratischen Konsent wird über eine Entscheidungsvorlage in einem strukturierten Prozess beraten und jede Meinung wird gehört. Wenn es Einwände gibt, versuchen wir, einen verbesserten Vorschlag zu entwickeln. Die Entscheidungsvorlage ist angenommen, sobald es keinen schwerwiegenden Einwand gibt. Vorteil davon: Jeder im Team hat de facto ein Vetorecht und nichts kann über seinen Kopf hinweg entschieden werden. Es muss aber auch keine demokratische Mehrheit gefunden werden, sondern das Design des Prozesses ist "fortschrittsorientiert".

Anschaffungen? Fortbildungen? Entscheide selbst!

Nicht alles braucht einen Teamentscheid. Über Anschaffungen entscheidet grundsätzlich jedes Teammitglied eigenverantwortlich, ebenso über den Besuch von Fortbildungen. Hierbei gibt es kein Budgetlimit. Warum? Weil es keinen Vorteil hat, teure Arbeitszeit der Geschäftsführung oder gar des gesamten Teams dafür zu verwenden, zu entscheiden, ob A sich einen neuen Bürostuhl anschaffen darf (und welches der beste wäre) oder B einen neuen Kopfhörer. Wir sparen also jede Menge Zeit und mentale Energie und ermöglichen gleichzeitig jedem und jeder, mit den Tools zu arbeiten, die sie für sich am besten finden. Übrigens hat noch niemand diese weitreichende Teamermächtigung ausgenutzt und sich z. B. einen Porsche auf Firmenkosten angeschafft. Oder ein Alpaka.

Pull-Prinzip für die Aufgabenverteilung

Bei uns gibt es niemanden, der anderen Aufgaben zuweist. Stattdessen machen wir, hauptsächlich über ein sogenanntes Kanban-Board, für alle transparent, welche Aufgaben zu erledigen sind. Jeder zieht sich dann nach Fertigstellung einer Aufgabe eine neue Aufgabe aus der Warteschlange.

Dieses Prinzip unterstützt aus meiner Sicht eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, denn es gibt nicht mehr denjenigen, der Aufgaben verteilt, und denjenigen, der Aufgaben empfängt. Es verhindert auch, dass einzelne Mitarbeiter überlastet werden, weil sie mit zu vielen Aufgaben betraut werden. Durch die hohe Transparenz verhindert es zugleich, dass Aufgaben "verhungern", also nicht erledigt werden. Und natürlich verhindert es auch, dass Mitarbeiter nichts zu tun haben, weil niemand ihnen Aufgaben zuweist.

Ergänzend zum Pull-Prinzip beraten wir bei größeren Projekten, die für einige Zeit mehrere dezidierte Kollegen brauchen, im Team, wer dieses Projekt am besten übernehmen kann und möchte.

Urlaub? Sag' einfach Bescheid

Schon viel länger als die oben erwähnte Ermächtigung für Kaufentscheidungen gibt es bei uns die Freiheit, Urlaub zu nehmen, wann man möchte. Der Urlaubsprozess ist einfach: Überlege, wann du Urlaub machen willst, welche Dinge dem entgegenstehen könnten (z. B. ob du schon die Fertigstellung eines Projekts zugesagt hast, dessen Launchtermin mitten im Urlaubszeitraum liegt) und schreib dann eine Mail ans Team, von wann bis wann du weg bist.

Diesen Prozess haben wir schon seit Jahrzehnten und er hat noch nie zu Problemen geführt. Schließlich sind wir ein Team von 10 Kollegen, (fast) jeder kann (fast) jedes Projekt betreuen und an Tagen, wo drei Viertel des webfactory-Teams freinehmen, gibt es in der Regel auch nicht viele Kundenanfragen.

Qualität

Ein großer Aspekt unserer Unternehmenskultur ist der Qualitätsanspruch. Wir reden immer eher mit unseren Kunden über höhere Budgets oder das Weglassen weniger wichtiger Features, als aus Budget- oder Termingründen qualitativ schwache Lösungen zu akzeptieren. Das zahlt sich nicht nur für das Produkt aus (siehe "Langlebige Softwareprodukte"), sondern es ist auch ein wichtiges Signal an das gesamte Team: Jeder wird darin bestärkt, sein Bestes zu geben. Und wenn man interne Tools, unsere Open Source-Pakete oder die Dokumentation in unserem Wiki verbessert, gibt es dafür Lob von den Kollegen.

Aus Fehlern wird man klug

Wir reden offen über Fehler und Probleme. Niemand wird für Fehler angegriffen oder zurechtgewiesen. Schließlich ist es am besten, wenn nicht nur man selbst aus seinen eigenen Fehlern lernen kann, sondern direkt das ganze Team. Meist hat dann auch noch jemand eine Idee, was man verändern könnte, um diese Art von Fehler für die Zukunft unwahrscheinlicher zu machen.

Wertschätzende und gewaltfreie Kommunikation

Dumme Fragen gibt es bei uns nicht. Jeder hat andere Stärken und jeder steht auch irgendwann mal auf dem Schlauch. Wir helfen uns gegenseitig und gehen immer davon aus, dass der andere das Beste wollte. Das hilft uns, uns nicht mit internen Spannungen aufzuhalten, sondern uns ganz auf unser gemeinsames Ziel zu konzentrieren: Die besten Softwareprodukte zu entwickeln und dabei jeden Tag Freude an der Arbeit zu haben.

Flexible Arbeitszeiten und -umfänge

Jede und jeder arbeitet, wann es für sie oder ihn am besten passt. Wir haben keine Regeln, die das einschränken, stattdessen haben wir Prozesse, die asynchron, also ohne gleichzeitige Anwesenheit funktionieren. Dazu gehören z. B. ein Teamchat und die Kommunikation über GitHub Pull Requests. Wir haben auch intensiv daran gearbeitet, mit unseren Kunden andere Kontaktwege als Telefonanrufe zu etablieren – zum Beispiel, in dem wir versprechen, dass E-Mails genau so schnell und zuverlässig bearbeitet werden wie Anrufe. Da nun nicht mehr die Erwartung besteht, einen bestimmten Ansprechpartner in einem bestimmten Zeitfenster telefonisch erreichen zu können, sind wir mit der Arbeitszeit sehr flexibel. Und die Tatsache, dass die Kolleg:innen diese Flexibilität auch nutzen, führt sogar dazu, dass die Erreichbarkeit sich auf Unternehmensebene verbessert hat: Denn auch eine E-Mail, die am Wochenende oder spät Abends eingeht, bekommt so gelegentlich noch eine schnelle Antwort.

Generell sind unsere Arbeitszeiten meist noch klassisch auf Montag bis Freitag gleichverteilt, es gab aber auch schon persönliche Experimente mit einem "Weekend Wednesday", also dem Tausch von Mittwoch gegen Samstag.

Die Flexibilität gilt auch für die gewünschte Wochenarbeitszeit: Jeder Mitarbeiter kann über diese frei entscheiden. Wir hatten in der Vergangenheit Kollegen, die Elternzeit genommen und dafür auf 2 Tage pro Woche reduziert haben, ebenso wie Musiker, die gerne eine 3-Tage-Woche arbeiten wollten. Unsere Geschäftsführer arbeiten übrigens in Teilzeit mit 80% bzw. 90%.

Remote First

Wir waren immer der Ansicht, dass wir vor Ort am besten zusammenarbeiten können und Homeoffice auf einen Tag pro Woche beschränkt bleiben sollte. Dann kam Corona und wir haben uns angepasst. Seit März 2020 arbeitet unser Team fast vollständig von zu Hause aus, und die Zusammenarbeit läuft besser denn je. Unser schönes, gerade 2019 frisch bezogenes Büro steht trotzdem zur Verfügung – für alle, die einen Tapetenwechsel zwischen Wohnen und Arbeiten bevorzugen.

Unsere Prozesse sind aber seit Corona "Remote First", das bedeutet für uns, dass wir Kollegen, die nicht vor Ort im Büro sind, keinesfalls benachteiligen wollen. Daher finden zum Beispiel alle Teammeetings als Videokonferenz statt, egal wie viele Kollegen im Büro sind.

Damit ermöglichen wir auch ganz neue Arbeitsmodelle: 2022 hat zum Beispiel der erste Kollege sein Büro spontan für zwei Wochen in ein Ferienhaus in Griechenland mit Blick aufs Meer verlegt.

30-Stunden-Woche

Wir haben lange über dieses Thema nachgedacht. Es gibt verschiedene Studien, die nahelegen, dass der Mensch nicht in der Lage ist, mehr als 6 Stunden am Tag konzentriert zu arbeiten (eher sogar deutlich weniger). Und dennoch fühlte es sich radikal an, die logische Konsequenz daraus zu ziehen und die tägliche Arbeitszeit auf 6 Stunden zu reduzieren. Verliert man da nicht möglicherweise 25% der Arbeitsleistung? Der Umzug ins Homeoffice während der Corona-Pandemie hat dann den entscheidenden Impuls gegeben, denn plötzlich verlor die Unterscheidung zwischen Anwesenheitszeit und dokumentierter Arbeitszeit ihren Sinn. Wir hatten vorher die Regel, dass man beim Kommen und Gehen seine Arbeits- und Pausenzeit erfasst und dass man einen möglichst hohen Anteil der Anwesenheitszeit, mindestens aber 70%, auf konkrete Tätigkeiten nachweist. Nur diese nachgewiesene Arbeitszeit konnten wir Kunden in Rechnung stellen. Im eigenen Zuhause fühlte es sich aber sinnlos an, zu entscheiden, wann man "auf der Arbeit" ankommt und wann man geht. Nachdem wir das ein gutes Dreivierteljahr gemacht hatten und es uns allen auf die Nerven gegangen war, haben wir entschieden, die Erfassung der Anwesenheitszeit abzuschaffen und die Quote der nachzuweisenden Arbeitszeit auf 75% zu erhöhen. Und plötzlich hatten wir unsere 30-Stunden-Woche.

Man könnte das nun als Augenwischerei abtun – aber dagegen sprechen die Zahlen aus unserer Evaluation: ein Dreivierteljahr nach der Umstellung fühlten sich 80% der Mitarbeiter erholter als früher, 90% fühlten sich produktiver, ebenfalls 90% bejahten die Frage, ob es sich auch tatsächlich so anfühlte, als ob sie weniger arbeiten als früher. Nur 10% (eine Person) hatte das Gefühl, dass es nach der Umstellung länger dauert, ein Projekt fertigzustellen. 80% des Teams bestätigten, nach Feierabend mehr Energie zu haben als früher – andererseits hatten nur 40% das Gefühl, wenn sie Feierabend machen, könnten sie häufig auch noch produktiv weiterarbeiten. Und unter dem Strich waren 90% sehr zufrieden mit der reduzierten Arbeitszeit (Bewertung von 5 oder 6 auf einer Skala von 0-6).

Und mit nunmehr 2 Jahren Erfahrung kann ich auch aus Geschäftsführer-Sicht sagen, dass das Modell ein voller Erfolg ist. Sowohl die Qualität unserer Produkte und der Zusammenarbeit mit unseren Kunden als auch das Klima im Team haben sich in dieser Zeit aus meiner Sicht hervorragend entwickelt.

Gehaltstransparenz

Seit 2017 sind alle unsere Gehälter im Team transparent. Das ist für uns schon so selbstverständlich, dass ich fast vergessen hätte, es zu erwähnen – aber immerhin haben wir die ersten 20 Jahre unserer Firmenlebens die Gehälter vor dem Team "geheim gehalten" (und ich wage die Vermutung, dass das in den meisten Firmen auch heute noch so gehandhabt wird).

Die Gehaltstransparenz hat zunächst einmal dazu geführt, dass unsere Gehaltsverteilung als fairer wahrgenommen wurde. Die Unterschiede waren offensichtlich deutlich geringer, als einige im Team gedacht hatten. Sie hat außerdem ermöglicht, dass wir im Team über die Gehaltshöhe reden und darüber, wovon das Gehalt abhängen sollte. Als nächsten Schritt nach der Veröffentlichung der Gehälter haben wir Anfang 2018 ein Gehaltsmodell und einen Gehaltserhöhungsprozess entwickelt.

Automatische Gehaltserhöhungen

Im Laufe der Jahre hat sich gezeigt, dass das Gehaltsmodell einige Schwachstellen hatte, insbesondere für sehr erfahrene Entwickler und langjährige Teammitglieder. Ende 2021 hat daher eine Arbeitsgruppe damit begonnen, ein neues Gehaltsmodell zu entwickeln. Ein Ziel der Arbeitsgruppe war, mit einem Mindestmaß an Einstufungs- und Bewertungsrunden auszukommen, denn diese haben sich als schwierig zu realisieren und häufig frustrierend herausgestellt.

Wir konnten uns bis heute noch nicht auf ein vollständiges neues Gehaltsmodell einigen, haben aber zum 1.1.2023 das alte Modell abgeschafft und jährliche automatische Gehaltserhöhungen für alle eingeführt, deren Höhe es unseren jüngsten Kollegen in Aussicht stellt, im Laufe ihrer Karriere auf das Niveu ihrer heutigen erfahrensten Kollegen zu kommen. Ich bin gespannt, wann wir hier im Blog unser fertiges neues Modell vorstellen können.

Was sonst noch war

  • Einen Einblick in unsere Teamkultur gibt auch Eva in ihrem Artikel wfLeaks: Eine Mitarbeiterin packt aus!
  • Bis 2020 hatten wir die Tradition, im Team reihum zu kochen und jeden Mittag gemeinsam zu essen. Und natürlich hatten wir ein ausgeklügeltes System, um Fairness beim Kochen zu garantieren. Der Artikel Wenn die Küchenglocke ruft ist eine Erinnerung.

Interesse geweckt?

Wir hören gerne zu, wenn Sie Fragen oder Anmerkungen zu diesem Thema haben. Und wenn Sie ein Projekt, ein Produkt, ein Problem oder eine Idee mit uns besprechen möchten, freuen wir uns erst recht über ein Gespräch!

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